»Der Mann in unseren Köpfen« – zur Krise des Feminismus : Jetzt findet ihr die Inputs hier


Feminismus boomt: Es ist wieder chic, sich als Feministin zu bezeichnen, feministische Diskussionsveranstaltungen sind gut besucht, queerfeministische Kneipen und Partys beliebt und am 8. März gehen selbst in Münster hunderte Menschen auf die Straße.
Und dennoch, all diesen Tatsachen zum Trotz, möchten wir behaupten, dass der Feminismus in einer Krise steht. (Queer-) Feministi*in sein verkommt zu einer Pose, (queer-)feministische Politiken verenden allzu oft in einer Gefangenschaft in Identitätskonstruktionen, die sie doch eigentlich überwinden und abschaffen wollen. Aber auch der Ruf nach mehr Klassenpolitik im Feminismus führt nicht einfach aus der Krise, sondern allzu oft nur in eine sozialdemokratische Orientierung feministischer Politik.
Das Patriarchat sitzt dabei nach wie vor fest im Sattel: Während wir Frauen es im Verhalten einzelner Männer verorten und zu bekämpfen suchen, übersehen wir zu oft, wie sehr der Mann in unseren Köpfen sitzt, wie also patriarchale Normen unser Denken (auch über Politik) strukturieren.
Wir wollen mit euch bei unserem Jour fixe diskutieren, wie wir aus der Langeweile der immer gleichen Forderungen und Aktionsformen herauskommen, uns vom moralischem Anspruch eines Feminismus als Antidiskriminierungspolitik frei machen und ein revolutionäres, feministisches Begehren nach dem ganz Anderen entwickeln können.

Montag, 19. Juni 2023 – 20:00 Uhr
Leo:16 (Herwarthstraße 7)

Plakat zum jour fixe »Der Mann in unseren Köpfen« – zur Krise des Feminismus

Input I:
„Der Mann in unseren Köpfen“ – zur Krise des Feminismus

Feminismus boomt: Es ist wieder chic sich als Feministin zu bezeichnen, feministische Diskussionsveranstaltungen sind gut besucht, (queer-)feministische Kneipen und Partys beliebt und am 8. März gehen selbst in Münster Hunderte Menschen auf die Straße: Männer, Frauen und auch queere Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen.

Und doch: All das kommt uns zunehmend langweilig vor und uns beschleicht das Gefühl im Kampf gegen das Patriarchat, beim Aufbau einer feministischen Bewegung, ja selbst in den kleinen Schritten, die sich daraus ergeben, nämlich bei der Thematisierung patriarchaler Machtstrukturen in der Linken oder dem Umgang mit sexualisierter Gewalt, seit Jahren nicht weiterzukommen.

Ein Indiz dafür wäre für mich die aufkommenden Langeweile beim Lesen von Aufrufen und die damit einhergehende (selbstkritisch gewendet) Unfähigkeit selber einen Aufruf vorzuschlagen, zu entwerfen, der anders wäre: neu, anstößig, aufregend, streitbar. Stattdessen wiederholen wir seit Jahren ständig die gleichen, richtigen Punkte: Gender Pay Gap, Anerkennung diverser sexueller
Identitäten, Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, Anerkennung der Reproduktionsarbeit. Das ist alles nicht falsch, gegen keine dieser Forderungen ließe sich inhaltlich etwas einwenden, und doch: In so einer Politik der korrekten allumfassenden Forderungen erstickt jegliche Leidenschaft für feministische Anliegen.

Das bestätigt sich für mich darin, dass es zu den brennenden Themen der letzten Jahre wie Corona (rühmliche Ausnahme waren hier die Texte von Tove Soiland und einigen anderen Frauen im nd; hier war allerdings die Rezeption bezeichnend: kein offener Widerspruch, aber denunziatorische Kampagnen, Querfrontvorwürfe), Krieg in der Ukraine, Aufstieg der Grünen und globale Aufstände kaum feministische Beiträge in der BRD gab, die Sprengkraft und Kontroversen entfaltet
hätten (auch hier die selbstkritische Wendung: wieso schaffen auch wir es nicht solche Beiträge zu produzieren?). Besonders bei Corona und Krieg hat es die feministische Bewegung
trotz gegensätzlicher Positionen nicht geschafft einen produktiven Streit zu führen. Das ist deswegen dramatisch, weil hier Themen auf dem Tisch sind, an denen der Feminismus eigentlich nicht vorbeikommt: Wie ist ein feministischer Blick auf Krieg, Militär, was ist feministische Solidarität? Oder auch Gesundheits- und Körperpolitiken?

Dass wir es nicht schaffen, in all diesen Bereichen spannend, vorwärts weisende Diskussionen zu führen, verbindet sich damit, dass wir keinen wirklichen konsequenten Umgang mit dem Mainstreamfeminismus und einem grünen Feminismus finden. Vielmehr wir dieser mal als Chance gesehen Anschlussfähigkeit zu behalten, dann wieder kritisiert, wobei die Kritik aber meist im Identitären stecken bleibt oder rein moralisch die Heuchelei der Grünen kritisiert, aber nicht die Funktion dieser Form des Feminismus für das gegenwärtige Herrschaftsprojekt aufarbeitet. Diese könnte uns aber deutlicher werden, wenn wir z.B. die Texte von Baerbock zur feministischen Außenpolitik studieren würden. Das macht aber keine(r).

Ein weiteres Problem ist ein Missverständnis um die Bedeutung der alten Parole „Das Private ist politisch“, die immer noch gilt: wie wir unseren Alltag leben, lieben, fühlen, über Ernährung, Freundschaft, Wohnen, Sex, Konsum denken ist nicht einfach unsere private Wahl, sondern zeigt strukturell etwas von dem auf, wie unsere Gesellschaft politisch, ökonomisch und ideologisch funktioniert und wie sie uns darin subjektiviert. Das Missverständnis aber wäre eine Unmittelbarkeit hier hineinzulegen, wie ich lebe, meine Befindlichkeit etc. sei unmittelbar politisch, und insofern müsse sich Politik an meiner Subjektivität messen lassen.

Der Unfähigkeit einen wirklich revolutionären Ansatz des Feminismus zu entwickeln, der was anderes wäre als die Reproduktion des Elends des bürgerlichen Feminismus, der für das Herrschaftsprojekt des Grünen Akkumulationsregimes und seiner Eliten völlig funktional ist, entspricht eine Langeweile und Zahnlosigkeit unserer Aktionen. Auch hier korrespondieren Theorie und Praxis in unguter Weise miteinander: langweilige Latschdemos dominieren das
Bild, der Frauenstreik wurde zwar appellativ ausgerufen, hat aber in der
BRD keine wirklich spannenden, neuen Aktionsformen hervorgebracht. Stattdessen erklären wir uns in unseren Redebeiträgen tot, weil wir so wenig zu sagen haben. Unsere Slogans treffen nicht den Punkt, den Herrschaft heute ausmacht: „Ehe, Küche, Vaterland…“ – fühlen sich die Frauen wirklich heute davon beengt? Sie können doch auch jenseits der Ehe leben, Essen kaufen statt selber kochen, und kosmopolitisch statt national eingeengt leben? Ist das wirklich die Sklaverei, die uns selber, unsere Mütter, Schwestern, FreundInnen, KommilitonInnen, KollegInnen heute noch gefangen hält? Protestieren wir da nicht nostalgisch gegen eine Welt der Vorstadtsiedlung der 1950er Jahre, die es heute lange nicht mehr gibt?
„Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“? Sind es wirklich noch Gott und Kirche, von denen wir selbst und unsere FreundInnen sich den Alltag vorgeben und strukturieren lassen?
Das führt uns zum Kern der Sache: gegen wen und was wollen wir denn feministisch aufbegehren? Wer und was macht das Gefängnis aus, in dem wir stecken? Weil wir darauf keine Antworten finden, die uns rational und affektiv gleichermaßen überzeugen, schwanken wir ständig zwischen einem Feminismus, der die eigene Subjektivität zum Ausgangspunkt hat und der Anrufung der Massen, wobei beide Ansätze nicht konsequent ausbuchstabiert werden.
Wahlweise reden wir davon anerkannt zu werden (von wem denn eigentlich? Von dieser Gesellschaft? Aber wollten wir die nicht mal hassen, weil wir sie revolutionieren wollen? Aber nein…eine Frau, wir Frauen hassen ja nicht, wir sind nett, verständnisvoll, freundlich, wir sorgen füreinander, für andere).

Es sind die gängigen Stränge des Feminismus heute, die uns aus dieser Misere kaum einen Ausweg finden lassen, ja, sie in unseren Augen immer weiter vertiefen. Da gibt es zum einen den an Identitätsfragen orientierten Queerfeminismus. Angetreten ist er einst damit, Fragen der (Geschlechts-)Identität zum Ausgangspunkt der Politik zu machen und damit die Frage nach dem Kollektivsubjekt, auf das sich der Feminismus bezieht, zu radikalisieren. Heute verendet queere Politik meist in Identitätsfragen, in dem Ringen um Anerkennung pluraler Geschlechtsidentitäten, das zumeist auf der symbolischen Ebene verbleibt. Schlimmer noch: die Queerdebatte, so wie sie gerade in politischen Kreisen (nicht) geführt wird, schafft eine Atmosphäre der Angst, der
Verdächtigungen. TERF-Vorwürfe und Queerfeindlichkeit lähmen einen kritischen, kontroversen Diskurs bzw. holen ihn auf moralische Ebene (das ist das Problem, nicht dass der Diskurs emotional sei, wie es feministischen Diskursen ja manchmal vorgeworfen wird). Hinter der moralischen Pflicht niemanden zu verletzen, verschwinden die Auseinandersetzungen um das Kollektivsubjekt Frau und dessen gegenwärtige ideologische Konstruktion und Zurichtung. Es fehlt zugleich aber auch eine wirkliche Beschäftigung mit der sexuellen Diversität und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung in der gegenwärtigen Gesellschaftsformation. Radikale Dekonstruktion verkommt letztlich zu Ontologisierung von Geschlechtsidentitäten (ich bin das, was ich euch sage, dass ich bin; dagegen darf es keinen Einwand geben), die jede Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft negiert. Anders als es die Psychoanalyse aufzeigt, scheint für die Einzelnen ihre Identität plötzlich unmittelbar plausibel und ist damit nicht als gesellschaftlich vermittelt kritisierbar. Jeder Diskurs darüber birgt dann die Gefahr narzisstischer Kränkung.
Daraus entsteht eine Hierarchie der Unterdrückten, der Opfer. Opfer sein ist dabei eine machtvolle Position, weil sie einen Täter erschafft und diesen mit Schuld belädt. Über die Schuld des anderen zu regieren, gibt uns eine Form der Macht über ihn. Diese Form der Macht ist aber keine emanzipatorische, sie verstrickt uns tiefer in den Fängen patriarchaler Herrschaft.

Interessanterweise korrespondiert der Queerdebatte am besten die Antidiskriminierungspolitik. Selbst im städtischen Gleichstellungsbüro und bei Podien des Kirchentags stellen sich die Leute mit Pronomen vor. Man hat fast den Eindruck, dass sich als gesellschaftlich hegemonial zunehmend eine Ideologie durchsetzt, die besagt: Du kannst sein, was du willst, aber du muss dein Selbst lieben, mit ihm identisch sein. Das klingt nach Freiheit, ist aber eine besonders subtile und totale Form des Zwanges.

Als Ausweg aus der Misere erscheint in manchen linken Kreisen dann die Besinnung auf „die gute, alte Zeit“, in dem Fall „Feminismus als Klassenpolitik“: Das Problem ist, dass solch eine Eingrenzung feministischer Fragen auf ökonomische oft dazu führt, dass hier der Zugang zu Subjektivität und Erfahrung ausgespart wird. Wir Frauen werden auf eine Klassenposition festgelegt. Darin aber liegt die Gefahr einer Neuauflage des Nebenwiderspruchdenkens und auch der Erstarrung in Sozialdemokratie: Indem wir Anerkennung der Reproduktionsarbeit oder mehr Lohn wollen, bleiben wir bei Anerkennungskämpfen, finden aber auf dieser rein ökonomisch beschränkten, verkürzten Ebene keinen Ansatzpunkt, von dem wir ein Begehren des Jenseits dieser kapitalistisch-patriarchalen Verhältnisse finden. Wir blicken dann auf die am meisten unterdrückten Frauen: bei Lidl an der Kasse oder in den Putzkollonen und vergessen zu fragen, ob wir denn auch selber der Befreiung bedürfen und was uns mit diesen Frauen verbindet.

Grundthese wäre also: Den Feminismus des 21. Jahrhundert müssen wir erst noch erfinden, die feministische Revolution muss vorbereitet werden.

Dafür braucht es einer Analyse dessen, was heute patriarchal-kapitalistische Verhältnisse ausmacht. Die Schwierigkeit besteht dabei darin, dass sich dieses vielmehr als Herrschaft der Dinge, denn als Herrschaft von Personen darstellt. Daher ist es verfehlt, die weißen alten Männer und den Kampf gegen ihre Vorherrschaft in den Mittelpunkt zu stellen. (Was nicht ausschließt feministisch zu reflektieren, wie wir uns eigentlich auf Männer beziehen. Moralisieren ist dabei, das können wir von der Psychoanalyse lernen, wenig hilfreich, genauso wenig wie Verhaltensschulung und -normierung. Es geht darum zu verstehen, wieso die Dinge sind wie sie sind. Daraus kann Befreiendes entstehen.)
Für die Freisetzung dessen in uns, subjektiv und kollektiv, was nach Befreiung sucht, braucht es Streit, die Reflexion unserer Erfahrungen, mit wem sie uns verbinden, von wem sie uns trennen. Wir müssen anfangen zu suchen, mit wem wir das Gefängnis eigentlich stürmen können und wer, vielleicht auch unbewusst, dort neue Gitterstäbe einbaut, ja wann und wie wir es vielleicht selbst tun.

Input II:
„Der Mann in unseren Köpfen“ – Zur Krise des Feminismus

Wir sind uns einig, dass wir im Patriarchat leben und dass wir es in feministischen Räumen zu durchbrechen versuchen. Aber wie versuchen wir dies?
Wir versuchen dies, indem wir uns alle als Opfer des Patriarchats zusammentun und uns als Gleiche identifizieren. Sozusagen die Restgruppe. Alle außer Cis-Männer. Dann definieren wir uns in Bezug auf den Mann. Wir sind nicht Männer. Wir sind nicht so aggressiv wie Männer. Wir akzeptieren einander die Pronomen. Wir sind Opfer von männlicher Gewalt.
Und wagt es eine Gruppe sich jenseits des Mannes zu definieren, indem sie behauptet, wir sind etwas Eigenes, wir sind Frauen, dann kündigt sie das Verhältnis mit der Restgruppe auf. Denn wenn eine Frau es wagt, sich nicht nur als Opfer des Mannes zu inszenieren, sondern zu sagen, ich will mehr, dann neigt die feministische Szene dazu, diese Frau mit Verachtung zu strafen, sie runter auf den Boden zu drücken.
Ihr werden dann die verschiedenste Vorwürfe gemacht, um sie einzuhegen:
Zum Beispiel wird ihr vorgeworfen Herrschaftswissen als Waffe zu verwenden, um andere mundtot zu machen. Ich habe ernsthaft schon gehört: „Der Text schafft es, dass ich mich dumm fühle. Ich will mich aber nicht dumm fühlen. Deswegen setzte ich mich nicht mit deinem Text auseinander.“
Ihr wird auch vorgeworfen, sie ruft zu laut und aggressiv auf einer Demo, das sei patriarchales, männliches Verhalten.
Ihr wird vorgeworfen, dass sie nicht dafür sorgt, dass sich alle beim 8. März wohlfühlen und tatsächlich wagt, ihre Idee, ihre Politik, den Feminismus zu verteidigen und damit Ausschlüsse kreiert.
Das sind alles Vorwürfe, die wir zur Genüge kennen. Aber wenn frau das mal zusammenführt. Dann ist da ein Frauenbild, was angerufen wird, welches dumm, nett, leidfähig und sich zurücknehmend ist. Das ist das patriarchale Bild einer Frau.
Das ist patriarchaler Diskurs, aber er wird nicht von Männern, sondern von sogenannten Feminist*innen geführt, um sich gegenseitig einzuhegen, zu Boden zudrücken und sich gegenseitig als Unfreie zu erkennen.
Dabei können sich die Männer stumpf zurücklehnen und zuschauen, wie sich die FLINTA gegenseitig zerfleischen.
Ist das unser Begehr?
Es ist hingegen nicht patriarchal als Frau was zu wollen. Sich nicht einzuopfern, also sich als Opfer zu stilisieren, laut, belesen und konfliktiv zu sein.
Und wenn frau und queer die zweite Frauenbewegung nicht mit Verachtung strafen würde, dann wüssten sie, dass das ein uraltes Problem ist: Wir ertragen es nicht, wenn eine Frau sich nicht als Opfer versteht.
Unter diesem Aspekt verstehe ich auch, warum es so viele gibt, die sich nicht mehr als Frau verstehen und ihren Körper abstreifen wollen. Und erst recht verstehe ich, wenn Frauen sich raus aus der feministischen Szene bewegen und sagen, ich habe lieber Männer als Freunde.
Aber das ist auch keine Lösung.
Die Anerkennung bei Männern zu suchen, sich ihnen gleich zu machen, ihre langweilige, vereinzelte und abgestumpfte Existenz zu leben, nein, das ist keine Lösung.

Wir haben vor kurzem überlegt, was es heißt, wenn uns Leute sagen: Ich fühle mich nicht mehr als Frau/als Mann. Schließlich ist es nicht mehr so, dass Frauen aufgrund ihres Frauseins der Zugang zur Männerwelt verwehrt wird. Jeanne d’Arc müsste sich beispielsweise heute nicht mehr als Mann tarnen, um in der Armee zu dienen. Was heißt es also dann, sich als Frau zu fühlen? Muss frau pink mögen und fünf Kinder wollen, um sich als Frau zu fühlen?
Ich verstehe auch, warum sich Männer nicht als Männer fühlen. Ein Freund meinte mal: Ich erfülle nicht das männliche Klischee, deswegen fühle ich mich nicht als Mann. Muss ein Mann ein großer Bodybuilder sein, oder ein Nerd, um sich als Mann zu fühlen?
Jede Queer und sicher auch jeder Mainstream würde das verneinen. Dennoch führt dieser queere, selbstbestimmte Diskurs zu dieser Engführung von Geschlecht. Also zu dem totalen Gegenteil von dem, was eigentlich die Idee ist: nämlich, die Geschlechter aufzulösen. Wenn mir entgegen geschleudert wird, dass ich eine Cis-Frau sei, dann bedeutet das was. Dann werde ich auf diese Engführung von Geschlecht festgelegt. Denn ich hätte ja die Chance mein Geschlecht abzustreifen, einen anderen Körper zu wählen und die Tatsache, dass ich das nicht tue, führt dazu, dass ich anscheinend einverstanden bin mit dem Bild von einer Frau. Ich muss dann so was sagen wie: Ich liebe es eine Frau zu sein. Und da ich es liebe eine Frau zu sein, bin ich im Vorteil, habe ich also Privilegien, weil ich – und damit bin ich mir sicher – nicht in dem Maße Gewalt erfahre wie Transpersonen, die nicht ihr Geschlecht geliebt haben und daher gezwungen waren ihren Körper zu verändern, sich der Tortur zu unterziehen, die Hormontherapie, Operationen etc. mit sich bringt und dann gezwungen sind, ständig auf ihr neues Geschlecht zu bestehen.
In der Logik des flexiblen Aussuchens macht die Privilegienanalyse Sinn, aber vielleicht ist diese Logik einfach falsch. Denn dieses flexible Aussuchen führt zu dieser ungewollten Engführung.
Z.B.: Als ich in der Grundschule unterrichtete, waren die Mädchen richtige Prinzessinnen und die Jungs richtige Prinzen, oder mit ihren Engelbert-Strauss-Hosen und einem Minizollstock am Bund richtige Handwerker. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Dennoch ist die Zweigeschlechtlichkeit noch lange nicht von gestern. Und dennoch erzählten mir die Kinder immer, dass dies so sei. Sie erzählten mir, dass, egal woher man kommt, egal wie man aussieht, egal welches Geschlecht man hat, jede*r das tun und lassen sollte, wonach ihm*ihr ist. Komischerweise war den meisten Mädchen danach Elsa und Anna Fans zu sein und pink zu tragen. Und man kann noch nicht mal was dagegen sagen, denn dann kommen die Kinder und sagen: „Ich weiß auch, dass ich als Mädchen nicht unbedingt pink mögen muss, aber ich mag halt pink.“ Eindeutig führt der Diskurs des Auflösens der Geschlechterrollen in eine Sackgasse und unterstützt die Binarität der Geschlechter noch viel mehr.
Daher sage ich jetzt: Ich kann mir mein Geschlecht nicht aussuchen, genauso wenig, wie ich meine Haarfarbe aussuchen kann. Natürlich kann ich meine Haare färben und mein Geschlecht verändern, das sehen wir ja. Aber unsere Gedanken können wir nicht abstreifen, die Gesellschaft können wir nicht abstreifen. Frau sein ist keine Frage der Ontologie, des Seins, sondern eine Frage der Politik.
Nur weil ich keine Brüste mehr habe, hasse ich ja immer noch die anderen Frauen aufgrund ihrer Unfreiheit und möchte mich von ihnen Emanzipieren und gleichzeitig von ihnen anerkannt werden. Die Biologie, der Körper, das Aussehen ändern nichts an unserer Hassliebe füreinander. Frau sein liegt tiefer.
Brüste ändern nichts daran, dass wir verzweifelt auf der Suche sind von den Männern und ihrer Männergesellschaft anerkannt zu werden. Es sind dabei zwei Seiten einer Medaille des Patriarchats, wenn frau einerseits verzweifelt wünscht, von ihnen begehrt zu werden, andere jedoch verzweifelt wollen, dass das Patriarchat ihre Geschlechtlichkeit anerkennt. Dies führt dann zu der Hassliebe der Frauen untereinander und zu der Sucht, dass wir von den Männern geliebt werden wollen.
Das drückt sich so aus, dass für ein bisschen Ruhm – gesponsert von der Männerwelt – Frauen und Queers ihre Geschlechtsgenossinnen verraten!
So haben selbst auf dem Kirchentag Pronomenrunden Einzug erhalten. Also Geschlechter wurden anerkannt.
Und was ist faktisch passiert? Frauen und Queers wurden für einen bunten Anstrich instrumentalisiert. Wir als Aushängeschild für die Zukunft, welche queer und weiblich ist.
Diese Anbiederung an die Scheiße, nur für ein bisschen Anerkennung, macht mich mehr als krank. Es ist neben dem auch ein Verrat an uns, an alles woran wir glauben.
Denn Fakt ist, auf dem Kirchentag wurden zwei von der Linkspartei rausgeschmissen, die ein Transparent hoch hielten, auf dem steht: „Es ist Zeit für Barmherzigkeit“, um gegen die Asylrechtsverschärfungen zu demonstrieren. Wo waren da die vielen, sich für ein bisschen Ruhm verkaufenden, Feministinnen? Sie haben sich ablichten lassen unter dem Slogan „Gott ist Queer“. Wo haben sie den faktischen Unterschied gemacht und sich mal nicht benutzten lassen für die Sache des Mannes? Wo haben sie mal nicht den patriarchalen Diskurs unter einem feministischen Deckmäntelchen geführt?
Wann kann ich euch begreiflich machen, dass wir den Mann aus unseren Köpfen entfernen müssen, dass wir nicht seine Anerkennung brauchen???
Nicht, dass ich die Anerkennung nicht auch will. Aber das darf nicht Teil unserer Frauenpolitik sein.
Es müsste doch uns als erstes stutzig machen, dass unsere Praxis von einem bunten, stimmungsvollen, aber nicht aggressiven Protest geprägt ist, wo alle sich wohlfühlen. Das ist kein Protest. Das ist Folklore.
Dass Pronomenrunden sich wunderbar in die herrschende Logik integrieren lassen.
Dass beim 8. März wir lieber eine Wohlfühldemo machen, als das Patriarchat fertig zu machen.

Ich plädiere daher dafür, jede Einhegung nach innen und nach außen zu verneinen. Kein Runterdrücken, kein Stillmachen (Silencing) mehr. Insbesondere nach innen, also untereinander, muss das aufhören. Wir können nicht nach außen treten, wenn wir nach innen buckeln. Die Feministinnen müssen zuerst frei und radikal reden, um Ideen, Kreativität und Leidenschaft für die eigene Sache zu entwickeln. Die stille Frau dahinten in der Ecke, was denkt sie? Sie sollte reden. Nicht die, die immer alle still machen wollen, weil sie sich von ihnen diskriminiert fühlt.
Was denkt sie? Denkt sie: „Das Thema Abtreibung interessiert mich nicht? Ist echt nicht mein Thema.“? Denkt sie Sexarbeit sollte verboten werden? Oder der 8. März gehört allein den Transpersonen?
Was immer es ist, es komme raus. Es lebe die Kontroverse!